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Das alte Rathaus am Kirchplatz 2

Das heute ‘Altes Rathaus’ genannte Gebäude ist eigentlich, abgesehen vom heutigen Rathaus in den Schlössern, das neueste Rathaus, denn die Stadtverwaltung hatte davor schon 5 andere Standorte. Erst ab 1856 war die Stadtverwaltung hier untergebracht.

Der Kirchplatz

Die älteste zurückverfolgbare Situation am Kirchplatz geht ungefähr auf das Jahr 1465 zurück, als begonnen wurde die Steuerpflichtigen der Stadt aufzuschreiben. Zu dieser Zeit war der Kirchplatz noch großenteils bebaut, die restliche Fläche diente als Friedhof der Stadtpfarrkirche. Es gab auch noch keine Stadtmauer. Die Stadtbefestigung bestand zuerst nur aus einem doppelten Wall/Graben-System, wo auf der inneren Seite ein Palisadenzaun o.ä. als Sicherung diente. Bestimmt gab es schon auch ein Tor, welches vermutlich in der direkten Achse der von Osten kommenden Wegverbindung, der heutigen Reichenbacher Str. lag. Diese Vermutung stützt sich auf den Gedanken, dass man während der Bauzeit der Stadtmauer und des Oberen Tores ja weiterhin den Zugang zur Stadt für Personen und Waren offenhalten musste. So wurde die neue Befestigung etwas weiter nördlich gebaut und nach deren Vollendung der alte Zugang zur Stadt geschlossen und verfüllt. So wäre der Knick in der Wegebeziehung am Oberen Tor zu erklären. (Eine genauere Beschreibung der Situation am Kirchplatz geschieht in einem gesonderten Artikel)

Zwischen 1470-1480 wurde das Obere Tor errichtet, die beiden Vortürme 1486. Nun konnte der Zuweg zur Stadt durch das neue Stadttor genommen werden, der alte Zugang wurde in den Jahren 1487-88 im Zuge des Baus der Stadtmauer geschlossen. Zwischen 1504 und 1508 wurde die Stadtmauer zwischen dem Oberen Tor und dem Schloss noch einmal erhöht. [1]Burkhart S. 59

Das alte Frühmessbenefiziatenhaus am Kirchplatz wird in der Urkunde U 19 beim Verkauf eines Hauses am Kirchplatz bereits 1416 erwähnt. 1475 erscheint es in B 38-20 als ‘Das Mössinhus an der Schul gelegen‘, war also neben der alten Lateinschule Kirchplatz x1. Die Größe und Lage des Gebäudes lässt sich nicht eindeutig bestimmen, muss aber im Bereich des heutigen Rathauses gelegen haben. 1485 wird das Frühmesshaus in einer Kaufurkunde (U 127) auch als Nachbar erwähnt. In der Akte B 8-9 wird 1516 ein Maister Blasius Adam Caplan zu Weissenhorn, im Mittelmeßhaus am Kirchhoff genannt. Nach A 57-7.1 wurde das Frühmessbenefizium durch Jakob Fugger [neu?] verliehen. Das Grundstück des Frühmesshauses gehörte den Fuggern, 1562 wurde es im Tauschwege der Stadt überlassen. [2]U 127 Dies geschah wohl, weil die Stadt hier die sog. Kray erbauen wollte. Noch 1562 erbaute man für den Benefiziaten im Wettbach 19 ein neues Haus. 1576 wurde das Frühmessbenefiziatenhaus für den Neubau der Kray abgebrochen.

Die alte Kray

Im Jahre 1576 erbaute die Stadt nach Abbruch des Frühmeßhauses die sogenannte Kray (frz. craie = Kreide oder frz. crier = ausrufen). In diesem Holzhaus waren oben Wohnungen für den Nachtwächter und für den Türmer. Ansonsten bestand die Kray (wie auf dem Bestandsplan des Rathauses von 1777 ersichtlich) aus schmalen Räumen, die als Lager und Werkstätten dienten. Durch diesen Plan kann die Lage und Größe der Kray recht gut bestimmt werden, über die Höhe und das Aussehen kann man noch nicht einmal Vermutungen äußern.

Außer diesen spärlichen Angaben ist in den Archivalien nichts über die Kray ausgesagt, erst 1760 wird die Kray im Beschluss zum Neubau vom 22.08.1760 näher beschrieben:

„die nächst dem Oberen Torthurm stehende, ruinose, sog. Kray- oder Schupfen-Behausung, darin unten drei Schmied- oder Feuerstätt nebst einem Waschhaus für die Stadtbedienten, oben aber Wohnungen für den Türmer und Nachtwächter sich befinden, von Grund aus neu herzustellen, die auswärtigen Schupfen oder Bogen (=Loggia) mit Stein zu wölben, und mit des Gebäu hinterem Teil auf die Stadtmauer hinauszufahren.“

Der Neubau der Kray

Nach dem Baubeschluss vom 22.08.1760 beschloss der Rat am 13. 01. 1761, “Joseph Dossenberger d. J[3] 09.03.172115.05.1785, schwäbischer Baumeister, Vertreter des Rokoko und des Frühklassizismus. „zur Beaugenscheinigung des Platzes, Abgebung dessen Rats und Machung eines Risses anhero kommen zu lassen”. Im Frühjahr 1761 wurde die alte Kray abgebrochen, am 14. 4. 1761 „an der neuen Stadtbedientenbehausung … der erste Stein gelegt und die alten Gewölbe de anno 1576, deren jedes Freistattrecht hatte, beibehalten, das Gebäu selbst aber, anstatt es vorhin von Holz war, von Stein herzustellen, angefangen …“. Es ist anzunehmen, dass mit dem ‘Hinausfahren’ auf die Stadtmauer die Zwingermauer gemeint war. Das macht Sinn, denn so konnte man sich neue Fundamente bis auf die ca. 4 m tiefe Sohle des Stadtgrabens ersparen. Der Bestandsplan zeigt deutlich die schräg durch das EG verlaufende alte Stadtmauer.

Die Bauaufsicht hatten die Stadtbaumeister Jakob Fluom und Leonhard Metzger, als Handwerker die Maurer Johann Eitele, Fidelius Fischer und Franz Fischer und der Zimmermeister Johann Schweiggart. Der Stukkator Christian Eitele machte vier weisse Zimmerdecken. Ende November 1762 dürfte der Bau vollendet gewesen sein. Außer Türmer, Nachtwächter und Einlasser wohnte jetzt noch ein Geistlicher im oberen Stock. Zum Ende der Bauarbeiten wurde eine Steinplatte mit Reliefwappen angebracht, die Buchstaben in den Ecken IFLM = Id Fecit Leonardus Metzger; oben: AEDIF (aedificat = erbaut) 1576, unten REAED (reaedificat = wiedererbaut)1761 .

Im Liegenschaftsbeschrieb 1777 wird das Gebäude beschrieben: “E die sogenannte Kray od des Stadt dieners wohnung: ein ziemlich wohlgebaut – groß und zu 4 Hauß haltungen zu gerichtetes wohl 1500 fl wertes Wohnhaus Bey dem zu ebener Straße 2 Werckstadte für Schloßer od Nagelschmied, woraus Jahrl 5 fl 30 Zünß bezogen befindlich und (? ? ) mit soandere Bewohneren das obere Gebäude. welches die Wohnung des H Bürgermeisters, und des Stadt Thurmers noch plaz gibet, noch 3fl Hauß Zünß bezahlen wird. Es ist freilich dießes gute und Schone gebäude von keiner großen Erträgnis. Doch sind die Wohnung da hier so viel es ein ergiebiger Haus Zünß nicht erlanget werden mag. Wir wolten wünschen daß die Stadt Wohnungen und gebaude genuzet für das gemeine Wesen was ergibiges erzielet und erhoben werden möchte. Allein Weißenhorn ist der plaz nicht.

Im Urkataster 1823 ist zu sehen, dass der Bereich zwischen Stadtmauer und Zwingermauer, wohl auch sogar darüber hinaus, südlich der Kray mit Nebengebäuden bebaut ist. Hierzu ist die Stadtmauer mit Bögen durchbrochen worden, die mit Gittern verschlossen waren. Diese Bebauung ist auch auf einem Gemälde des Kirchplatzes von ~1850 dargestellt. Es ist nicht zu klären, ob diese Bebauung schon vor dem Neubau der Kray erfolgt ist oder erst danach. Bei der Diskussion über einen neuen Pfarrhofbau anstelle der alten Lateinschule wurde seitens der kgl. Baukommission geschrieben: Schließlich wird noch bemerkt, daß die höchste Genehmigung zur Veränderung der Stadtmauer hierzu keiner besonderen Schwierigkeit unterliegen dürfte, weil dieselbe ohnehin neu und durchaus nicht im Baustyl der übrigen aufgeführt ist. [6]A 58-22 Im Stadtarchiv befindet sich auch ein Bestandsplan von ca. 1850, der die Situation darstellt, wenn auch das Aufmaß nicht ganz der tatsächlichen Situation entspricht, z.B. ist der Verlauf der alten Stadtmauer nicht schräg dargestellt.

Im Jahr 1819 werden als Bewohner verzeichnet Johannes Ketterle, Stadtschreiber; Franz Erhardt Würth, Communalschreiber; Ignatz Stiegelbauer, Thürmer. 1831 sind es H: Dr. Bauer, kgl. Advocat; Franz Josef Würths Witwe, Communalschreiber; Ignatz Stiegelbauer, Thürmer und 1843 Mathias Müller, Kanzlist; Nepomuk Hanrieder, Stadttürmer; H: Beck, kgl. Gerichtsarzt; Feßler, Lehrer.

Ein Gemäldeaus dem Jahr 1830 mit Blick vom Hauptplatz zeigt deutlich die tief heruntergehende Mauer unter der Kray auf der östlichen Seite des Stadtgrabens. Zu sehen ist auch ein großer Bogen, dessen Funktion noch nicht geklärt werden konnte. Evtl. handelte es sich um einen Ausgang aus dem Zwingerbereich in den Graben, vielleicht aber auch die Unterkonstruktion des hier vermuteten alten Stadtzugangs.

Die Nutzung der Kray als Rathaus

Am 10.11.1848 beschloss der Magistrat auf den Vorschlag desStadtpfarrers Bisles hin, der Stadtpfarrei die oberen beiden Stockwerke der Stadtkanzlei Kirchplatz 7 als Pfarrhaus zur Verfügung zu stellen. Bisle war sehr erfreut, stimmte dem Vertrag am 19.11.1848 zu und zog schon am nächsten Tag in die neue Wohnung. Somit war praktisch dieses Gebäude auch das Pfarrhaus. Bis 1856 war der Stadtpfarrer im Stadtkanzleigebäude Kirchplatz 7 aber nur wohnhaft, es ist nicht bekannt ob als Mieter oder ohne Gegenleistung. 1856 entschied man sich nun endgültig, die Stadtverwaltung in das Kraygebäude Kirchplatz 2 zu verlegen, wo sie die nächsten 150 Jahre auch bleiben sollte.

1858 sind die Bewohner des Rathauses Matheus Huber, Stadtschreiber und Kaspar Roßkopf, 1861 sind es Matheus Huber, Stadtschreiber und Erhard Deschler.

Nach dem Einsturz der Stadtpfarrkirche 1859 wurde ein Kirchenneubau geplant, der erheblich mehr Platz brauchte. Um diesen Bauplatz zu gewinnen wurde 1862/63 der Stadtgraben eingefüllt und die Stadtmauer mit dem Pfaffenturm und den Nebengebäuden abgebrochen. [10]A 118-41

Am 12.09.1896 wurde am Rathaus eine Gedenktafel für Karl Kammerlander angebracht. Das Rathaus ist bezeichnet als Magistratur.

1903 wurde die Stadtschreiber-Wohnung der Gendarmerie zur Verfügung gestellt. Um 1910 wurde die Bezeichnung des Gebäudes geändert in Stadtmagistrat.

Im Wollhaus (An der Mauer 2, heute Heimatmuseum) war die Post unterbracht. Als Unterstellmöglichkeit für die Postkarren wurde 1914 auf der Ostseite des Rathauses in der Nische zum Oberen Tor eine Remise angebaut (1965 wieder entfernt).

Mit Beschluss vom 04.04.1924 wurde eine Renovierung des Post- und Stadtratsgebäudes nach Maßgabe des Kostenvoranschlags genehmigt. Hierbei wurden im DG größere Dachgauben eingebaut und im EG neue Fenster und Türen aus Eiche eingebaut. Die Bezeichnung des Gebäudes wurde geändert in Stadt Rat. Bei der Sanierung wurde auf der Hauptplatzseite eine aufgemalte Quaderung im Sockelbereich und eine barockisierende Bemalung der Obergeschosse angebracht, welche wohl an die Darstellung von 1830 anknüpfen sollte. Die Sanierung des Gebäudes zog sich über mehrere Jahre hin und wurde erst am 18.10.1935 mit der Kostenfeststellung abgeschlossen. Am 05.01.1938 wurde die städtische Bibliothek im 1. Stock des Rathauses eröffnet, mit einem Bestand von 600 Bänden. Die Leihgebühr betrug, pro Woche und Buch, 10 Pfennige. Am Jahresende wurden 1800 Ausleihungen registriert. [12]Burkhart S. 144

1952 wurde das Rathaus wieder renoviert. Es war erforderlich, einen Kamin wg. Brandgefahr zu erneuern. In diesem Zuge wurden auch Klosett mit Wasserspülung eingebaut. 1957 wurden neue Stühle für den Sitzungssaal angeschafft.

Vor der 800-Jahr-Feier im Jahr 1960 wurde 1959 das Rathaus wieder renoviert und neu angestrichen. Hierbei wurde die Gedenktafel an Karl Kammerlander wieder entfernt. Die Fenster in den Obergeschossen der Westseite wurden erneuert. Die Fensterläden bekamen einen diagonalstreifigen Anstrich in Form eines ‘W’. Die Beschriftung lautete fortan: RATHAUS. Außerdem wurde auch der Lagerraum für die Postkarren in der Nische zu den Vortürmen abgebrochen.

1962 wurde das Stadtbauamt beauftragt, Pläne für eine Rathauserweiterung vorzusehen. In Ermangelung geeigneter Möglichkeiten wurde 1963 der Sitzungssaal zu Büroräumen umgebaut und 1964 ein Trauungszimmer eingerichtet.

1965 erhielt die Ostfassade des Rathauses neue Fenster eingebaut. Man überlegte, den alten Sitzungssaal in der Schranne zu reaktivieren. Eine Wiederherstellung zur Benützung wurde aber als nicht vertretbar angesehen.

Am 08.11.1966 wurde entschieden, im EG der alten Landwirtschaftsschule Schulstr. 4 einen neuen Sitzungssaal einzubauen. Am 09.02.1967 fand die erste Sitzung im neuen Sitzungssaal statt. 1967 bekam auch das Bürgermeisterzimmer eine neue Einrichtung und 1970 wurde eine zentrale Ölversorgung für die Öfen im Rathaus eingebaut. 1972 erhielt auch das Trauungszimmer eine neu würdige Möblierung für 2808 DM. 1973 schließlich erhielt das Rathaus einen neuen Fassadenanstrich einschl. der Fensterläden, die nun das ‘W’ der Stadt in grau und rot darstellte.

Im Zuge der Sanierung des Kirchplatzes 1985-87 wurde auf der Südseite der Arkaden ein Durchbruch angelegt, um einen behindertengerechten Zugang zu ermöglichen. Die Kalksteinsäulen wurden saniert, dabei wurden teilweise neue Kapitelle eingebaut.

Während der Sanierungsarbeiten der Schlösser zum Umbau als neuer Sitz der Stadtverwaltung zog man in das Interimsrathaus Memminger Str. 59 (ehem. Landwirtschaftsamt). Vorübergehend diente das alte Rathaus der Unterkunft von Vereinen. Derzeit steht das Gebäude leer. Zukünftig soll das alte Rathaus vom Museum mit benutzt
werden. Die Landesstelle für nichtstaatliche Museen empfahl eine komplette Sanierung der Gebäudegruppe Museum/Oberes Tor/Rathaus mit einer Neukonzeption der Ausstellung und stellte hierfür hohe staatl. Zuschüsse in Aussicht. Bei den Vorarbeiten hierzu wurden gravierende statische Mängel an den Gebäuden festgestellt, was zum Anlass einer erneuten bauhistorischen Untersuchung genommen wurde. Zurzeit laufen die Planungsarbeiten für diesen Umbau.

Quellen:

Quellen:
1 Burkhart S. 59
2 U 127
3 09.03.172115.05.1785, schwäbischer Baumeister, Vertreter des Rokoko und des Frühklassizismus
4, 5, 8 Stadtarchiv Weißenhorn; Foto: Heimatmuseum Weißenhorn
6 A 58-22
7, 9, 11 Heimatmuseum Weißenhorn; Foto: Heimatmuseum Weißenhorn
10 A 118-41
12 Burkhart S. 144
13 NUZ 1972/199-23
14 NUZ 1973/199-18

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