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Die Bierkeller an der Roggenburger Str.

Das Gelände ist heute dicht mit Wohnhäusern bebaut, so dass nichts mehr an die frühere Nutzung und Situation erinnert. Von außen nicht zu erkennen befinden sich aber heute noch einige Keller unter der Erde. Schauen wir, wie sich die Gegend hier innerhalb fast 200 Jahren veränderte.

Warum die Wirte die Roggenburger Str. diese Stelle für ihre Bierkeller vorsahen, ist nicht überliefert. Im Urkataster 1823 sind die Flächen entlang der Straße als Ödland dargestellt, d.h., hier fand keine landwirtschaftliche Nutzung statt, und das will zur damaligen Zeit etwas heißen, wo doch jede verfügbare Fläche irgendwie genutzt wurde. Das mag an der Topographie gelegen haben, denn südlich der Straße war eine 8-10 m hohe Böschung. Man hat wohl damals auch schon gewusst, dass hier stabile Decklehme anstehen und darunter Moränenkiese zu finden sind. Das war vielleicht auch der Grund, warum sich die Fugger zur gleichen Zeit entschlossen, auf ihrem Grundstück am Ohnsang-Wald eine Ziegelei einzurichten. Die hierzu erforderlichen Lehme fand man sowohl auf dem eigenen Grundstück als auch im Bereich der Roggenburger Str. 50. Hier wurde Lehm abgebaut und somit die Böschung ca. 20 m nach Süden verschoben. Diese Fläche ist in einem Lageplan aus 1864 noch als ‚Sandgrube des Bernegger‘ [Bernegger war ab 1863 Nachfolger auf der fugg. Ziegelei] bezeichnet.

Wahrscheinlich wurde der Bau dieser Ziegelei in der Stadt schon ein Jahr vor dem Bau besprochen, so dass der Stadtwirt Dominikus Sälzle im Bereich der Roggenburger Str. 44 1840 einen Braun- oder Sommerbierkeller herstellen ließ, dem er schon 1841 ein ‚Sommerhaus‘ für einen Biergartenbetrieb anfügte. Diesem Beispiel folgten dann viele Bräuer.

1850 baute der Rösslewirt und Bierbrauer Anton Weißenhorner, auf dem Acker seines Schwagers, des Bleichers Joseph Kurz, an der Roggenburger Str. 52, östlich der Fugg. Lehmgrube, einen Lagerbier-Keller. Die Baukommission wandte sich gegen die schräge Ausführung der Flügelmauern, da hierdurch der Wasserabfluss im Straßengraben behindert sei. Die Mauern müssten in gerader Flucht ausgeführt werden.

1858 trat der Lammwirt Joseph Hemmerle an die Stadt heran: Mein Sommerbierkeller unter meiner Wirthschaft ist so unpraktisch, daß er schon Ende Mai warm wird, u. das Lagerbier in demselben länger nie aufbewahrt werden kann. Er habe daher zum schwunghaften Betriebe meiner Bräuerei an der Roggenburger Straße neben der städt. Sandgrube von dem Söldner Thaddä Probst einen Acker mit 88 Dezimalen (3000 m²) gekauft. Den Straßengraben möchte er mit einem gemauerten gewölbten Durchlass überqueren und verpflichte sich auch zu dessen Unterhalt. Der Keller auf Roggenburger Str. 38 wurde genehmigt.

Ab ca. 1825 hatte die Stadt begonnen, auf ihrem Grundstück Roggenburger Str. 42 Sand und Kies abzubauen. Zuerst wurde nur die Straßenböschung auf eine Tiefe von ca. 20 m abgebaut (wohl zuerst die Decklehme zur Ziegelherstellung), danach wurde eine Grube gegraben und der Kies abgebaut. Das Material wurde zum Straßen- und Wegebau verwendet. Um 1859 war die Grube schon so weit ausgebeutet, dass man die Zufahrt wegen ihres ‚ruinösen‘ Zustands wieder instandsetzen musste [4]A222.1/12. Auch im Bauantrag Hemmerle von 1858 wird die Lage ‚neben der städt. Sandgrube‘ bezeichnet.

Bis 1870 war die Ausbeutung der Grube wohl abgeschlossen, es wird nur noch von der ‘alten’ oder ‘verlassenen’ Sandgrube gesprochen. Bereits 1860 hatte man sich um Grundstücke zur Erweiterung der städt. Kiesgrube bei Grafertshofen bemüht. 1871 baut der Engelwirt Mathias Kircher einen Keller mit Fassstadel am westl. Grubenrand (Roggenburger Str. 40). 1874 stellt der Stadtwirt Alexander Ege einen Antrag um Bewilligung zum Minieren eines Lagerkellers und Errichtung einer Einfahrt zu demselben auf Communalgrund, welchem zugestimmt wird. Es entsteht der erste Keller in der Kiesgrube.

1878 baute der Bräuhauswirt Johann Georg Goßner einen Bierkeller und einen Stadel als Fasshütte auf der Nordseite der Roggenburger Str. bei RG41. 1863 hatten die Fugger wegen der Mediation von 1848 alle Immobilien in der Stadt verkauft, darunter auch das Bräuhaus und die Ziegelei. Bei der Ziegelei war der Bierkeller des Bräuhauses, und weil die Ziegelei jetzt Herrn Bernegger gehörte, musste Herr Goßner als neuer Eigentümer des Bräuhauses sich um einen neuen Bierkeller bemühen.

Ab jetzt setzte eine rege Bautätigkeit ein. 1881 baute der Lammwirt ein Fasshaus zu seinem Keller RG38 und vergrößert diesen im Jahr 1887, und 1882 kaufte der Löwenwirt Thaddä Hörmann den Keller RG44 des Stadtwirts, denn der hatte ja gerade einen neuen Keller in der städt. Kiesgrube gebaut. Ab 1883 gehört der Löwen dem Sohn Johann Hörmann. Voller Elan macht er sich an den Ausbau der Brauerei und des Gasthofs in der Martin-Kuen-Str. Er will aber auch bei den Kellern die Umgebung aufwerten. Er gestaltet den Zufahrtsbereich neu und baut vor den Kellereingang ein neues Fasshaus.

1885 wurde die Ziegelei am Ohnsang aufgegeben und vollständig abgebrochen.

1888 stellt der Glockenwirt Peter Paul Rinderle auch einen Antrag auf Bau eines Kellers in der städt. Kiesgrube, der ihm am 27.10.1888 auch gewährt wird. Der Engelwirt vergrößert seinen dortigen Keller 1890 und 1895, während 1893 der Bärenwirt Max Mayer und der Ochsenwirt Johann Huber zeitgleich jeweils einen weiteren Keller in der Kiesgrube beantragen. Der Stadtrat beschließt, beiden Gesuchen zuzustimmen und weist dem Bärenwirt Mayer den Platz neben dem Glockenwirt Rinderle zu und dem Ochsenwirt Huber den nächsten, an den Bärenwirt anstoßenden Platz. Eine Pacht oder Grundzins wird nicht verlangt.

Es wurde aber nur der Keller des Bärenwirts gebaut. Um 1919 gab der Stadtwirt seine Brauerei und somit auch den Keller auf. Der Ochsen wurde 1919 an Narziss Konrad verkauft. Vermutlich zu diesem Zeitpunkt kaufte Konrad den Keller des Stadtwirts, später (1932) wird er als Kellerinhaber erwähnt.

1892 beantragte der Storchenwirt Josef Ebenhoch auch einen Keller auf der Nordseite bei RG43. Es ist aber nicht sicher, ob dieser Keller tatsächlich gebaut wurde. Das Gebäude ist im Flurbereinigungsplan 1904 eingetragen, im Katasterplan 1909 und im Vermessungsplan 1921 jedoch nicht mehr. Ebenhoch ist im EV 1906 noch auf dem Storchen genannt, wenig später wurde scheinbar das Gasthaus und damit auch die Brauerei aufgegeben. Das Gebäude wurde scheinbar schon vor 1921 wieder abgebrochen. Das Grundstück wurde 1956 mit einem Einfamilienhaus bebaut.

1895 erweiterte der Rösslewirt Peter Sälzle seinen Keller RG52 und baute eine Wagenremise hinzu. Der Löwenwirt baute 1895 eine Fasslagerhalle, auch als Ökonomiegebäude bezeichnet, auf einem von der Stadt hinzuerworbenen Grundstück im Bereich der RG48. Er lässt hierüber eine Werbepostkarte herstellen.

Um 1900 gab der Bräuhauswirt seinen Keller RG41 auf und verkaufte ihn an den Mosthersteller Xaver Böck von der Illerberger Str. 9. 1904 baute Hörmann zu seiner Kelleranlage eine Remise hinzu und ließ hierüber wieder eine neue Postkarte drucken.

Nun war aber die große Zeit der Bierkeller vorbei. Das Lamm und der Storchen gaben um 1905 ihre Brauereien auf, der Stadtwirt um 1919 und das Rössle stellte 1927 auf elektrische Kühlung nach dem System Linde um. Der Rösslekeller RG52 wurde aufgegeben und das Fasshaus zu einem Wohnhaus umgebaut. Auch das Fasshaus der Lammbrauerei RG38 wurde um 1923 zu einem Wohnhaus umgebaut oder abgebrochen und durch einen Neubau ersetzt.

Der Löwenwirt hatte 1915 die Brauerei gesundheitshalber aufgegeben und benötigte die Keller nicht mehr. Er verkaufte die Baulichkeiten bei den Kellern 1921 an den Oberpostsekretär Christian Beck, der das Fasshaus zu einem Wohnhaus umbaute, wofür er ein Gemeindedarlehen von 1750 M erhielt, und eine Schankstätte mit Kegelbahn anbaute. Leider brannte diese Gebäudegruppe um 1928 ab.

Etwas abgesetzt von dem alten Gebäude errichtete Beck 1929 ein neues Wohnhaus, welches er als Ausflugsgaststätte konzipierte. Das Café Schönblick genannte Haus entwickelte sich in den 30er-Jahren zu einem vielbesuchten Lokal.

Der damals noch mögliche weite Blick auf Weißenhorn wurde oft fotografiert.

Die Brauereien Bären, Ochsen, Engel und Glocke, die ihre Keller in der alten Kiesgrube hatten, betrieben ihre Brauereien weiter und errichteten über den Kellern in den 30er-Jahren sog. Eisgalgen, um weiterhin Eis für den Betrieb ihrer Keller zu gewinnen.

Nach dem Krieg fing die Streusiedlung an, sich ungeordnet zu entwickeln. Schon 1928 war auf dem Grundstück RG45 ein Einfamilienhaus erbaut worden, 1923 das Fasshaus des Lammes und 1925 das des Rössles zu Wohnhäusern umgebaut worden und 1929 das Café Schönblick entstanden. Zudem hatte die kgl. priv. Schützengesellschaft 1939 oberhalb des Löwenkellers eine neue Schießanlage eingerichtet. Ein weiteres Wohnhaus in diesem Bereich entstand 1922 Bei den Kellern 27, welches Anfang der 50er-Jahre modernisiert wurde.

1947 entstand oberhalb der Kelleranlage am Kreuzbergweg abgesetzt von der städt. Bebauung ein kleines Holzhaus in exponierter Lage, welches 2002 renoviert wurde.

Um 1945 wurde auf dem Grundstück RG48 beim alten Ökonomiestadel des Löwen ein Einfamilienhaus gebaut, 1956 ein Wohnhaus beim alten Storchenkeller RG43 1958 ein Einfamilienhaus bei RG47 und 1967 ein Wohnhaus bei RG50. Der ehem. Fassstadel des Engelwirts, RG40, wurde an einen Obsthändler verkauft, der die Keller als Lager nutzte und bis 1999 hier auch einen Obsthandel betrieb. Ab 1976 wurde der ehem. Bräuhauskeller um landwirtschaftliche Gebäude zur Schafhaltung erweitert.

Im Allgemeinen verwilderte die Umgebung zusehends. Wegen der vom Ort abgesetzten Lage, der fehlenden Abwasserbeseitigung und er vielen alten Kelleranlagen stand die Stadt einer baulichen Entwicklung hier skeptisch gegenüber. Das Café Schönblick war schon Ende der 50er-Jahre aufgegeben worden und wurde ab ca. 1985 zusammen mit der ebenfalls aufgegebenen Schießanlage von einem Interessenten zu einem Wohnhaus und Stallungen für private Pferdehaltung genutzt.

Ungefähr 1987 beantragte ein Privatmann den Kauf der Kiesgrube. Ihm war es gelungen, die ungenutzten Bierkeller von den Eigentümern zu erwerben. Die Stadt verkaufte das Grundstück, welches daraufhin sukzessive mit Aushub und Bauschutt (vornehmlich Steinabfälle des örtlichen Steinmetzbetriebs) verfüllt wurde. Das verfüllte Grundstück wurde als Abstellfläche für Lkw genutzt. Die Grundstücke über den Kellern wurden zu Bauplätzen umgewidmet, hier entstanden die Häuser Bei den Kellern 15, 19 und 21.

1988 wurde das Wohnhaus RG45 ersatzlos abgebrochen. Neben dem alten Café Schönblick wurde 1989 ein weiteres Einfamilienhaus gebaut.

1990 verlegte Xaver Böck seine Mosterei von der Illerberger Str. 9 an die Roggenburger Str. und baute neben seinem Lagerkeller RG41 eine neue Obstkelterei mit Abfüllanlage und Sozial- und Bürogebäude. Leider konnte sich dieser Betrieb nicht dauerhaft halten, er geriet um 2000 in die Insolvenz mit nachfolgender Zwangsversteigerung.

1999 wurde der Fuhrbetrieb auf RG40/42 aufgegeben. Das Gelände wurde an einen Gebrauchtwagenhändler verpachtet, der Container als Büro- und Sozialgebäude aufstellte. 2008 konnte dieser Händler ein Grundstück an der Ulmer Str. erwerben und dort einen größeren Handel mit Ausstellungshalle und Werkstatt errichten.

Im Jahr 2007 wurde das Grundstück RG44 verkauft. Nachdem dort schon vorher ein Gartenbaubetrieb ohne besondere Genehmigung eine Lagerfläche eingerichtet hatte, wurde das Gelände jetzt planiert und mit einer Maschinenhalle für einen Baggerbetrieb bebaut.

2009-2010 wurde die Roggenburger Str. vom Straßenbauamt ausgebaut. Hiermit verbunden war auch eine Linienverbesserung, so dass die Straße eine neue Trasse bekam. Im Bereich der bestehenden Bebauung wurde die Straße etwas begradigt, so dass die neue Straße nicht mehr unmittelbar vor den Gebäuden verlief. Die alte Fahrbahn wurde als Erschließungsweg für die Häuser genutzt. Die Straße bekam einen straßenbegleitenden Fuß- und Radweg, der im Bereich der Gebäude auch eine Querungshilfe bekam. Im Zuge des Straßenbaus wurde dieser Bereich auch an die öffentliche Kanalisation angeschlossen. Dieser umfangreiche Straßenbau veränderte die Situation kräftig, der Eindruck wurde weiter und offener.

2011 wurde auf der Fläche der ehemaligen Schießanlage ein weiteres Einfamilienhaus gebaut.

Ab 2014 kam eine große Bewegung in die städtebauliche Entwicklung der alten Kelleranlagen. Ein Investor kaufte die Grundstücke RG40 und RG42 und beantragte den Bau einer viergeschossigen Wohnanlage. Die Stadt vertrat die Meinung, dass die umgebende Bebauung so geprägt sei, dass sich ein Bau dieses Umfangs hier einfüge und verzichtete trotz der dispersen Bebauung und der Altlasten auf eine Bauleitplanung. Bis 2020 wurden zwei viergeschossige Wohnhäuser mit Tiefgarage erstellt. Der Keller unter dem Gebäude Roggenburger Str. 40 wurde vor dem Neubau grob vermessen und dokumentiert, die anderen Keller in der südlichen Grubenwand wurden leider nicht eingemessen und dokumentiert. Sie sind jetzt nicht mehr zugänglich.

Auch das Grundstück RG48 wurde verkauft und die Altbebauung abgebrochen. Auch hier wurde 2020 ein viergeschossiges Wohnhaus neu errichtet. Der Baggerbetrieb auf RG44 erweiterte seine Lagerhalle und integrierte den alten Keller in die Planung.

Wer heute die Neubebauung betrachtet, wird durch nichts mehr an die historische Situation und die Geschichte der Weißenhorner Brauereien erinnert.

Quellen:

Quellen:
1, 2, 3, 5, 6, 7, 8, 9 Stadtarchiv Weißenhorn; Foto: Heimatmuseum Weißenhorn
4 A222.1/12
10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 20, 21, 22 Heimatmuseum Weißenhorn; Foto: Heimatmuseum Weißenhorn
23, 24 GIS Neu-Ulm

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