Eisenbahn,  Stadtentwicklung

Die Vizinalbahn Senden-Weißenhorn – städtebauliche Entwicklung

27. Juni 2022/No Comments

Der Bau des Bahnanschlusses war für Weißenhorn der größte städtebauliche Schub in der Entwicklung der Stadt. Verglichen mit heutigen Planungsabläufen fällt auf, dass zwar über Notwendigkeit und Finanzierung des Bahnbaus diskutiert wurde, Fragen der Bahnhofslage, der Größe, der Ausstattung, der Anbindung und der Gestaltung überließ man aber offenbar völlig den Planern. So entstand im Westen der Stadt das Bahngelände in einem Umfang, welcher genügend Spielraum für Erweiterungen bot und der auch noch nach 150 Jahren ausreichend ist. Unter Anwendung heutiger Planungsrestriktionen würden wir wohl immer noch mit der Postkutsche fahren!

Das Bahnhofsarreal wurde westlich der Altstadt in Nord-Süd-Richtung entwickelt. Auf der Ostseite des Bahnhofsgeländes wurde eine Erschließungsstraße als Verbindung von der Ulmer Str. zur Illerberger Str. auf Bahngrund angelegt, die heutige Herzog-Georg-Str. Erst 1961 konnte die Straße von der DB für 0,70 DM/m² gekauft werden (6180 m² = 4326 DM). 1

Für den Grunderwerb wurde im Jahr 1880 eine begleitende Flurbereinigung durchgeführt.

Im Sommer des Jahres 1877 wurde mit dem Bau der Eisenbahnstrecke Senden-Weißenhorn begonnen. Nun wurde es an der Zeit, bis zur Eröffnung der Eisenbahnstrecke auch eine straßenmäßige Verbindung zur Stadt herzustellen, damit die Eisenbahn auch an das örtliche Verkehrsnetz angebunden war. Die Stadt beschloss daher einen Baulinienplan für die zuerst ‘Eisenbahnstraße’, später Bahnhofstraße, genannte Verbindung herzustellen, eine Straße zu planen und zu bauen, in deren Verlauf zwei mal die Roth mit Brücken gequert werden musste. Das Stationsgebäude befand sich in der Straßenachse der Bahnhofstraße an der Einmündung in die Herzog-Georg-Straße. Zeitgleich mit dem Bau der Straße und der Eisenbahn wurde auch gegenüber dem Bahnhof eine Gaststätte, die Bahnhofrestauration, gebaut.

Bahnhofrestauration um 1910; Foto: Heimatmuseum Weißenhorn

Zur Kiesgewinnung für den Eisenbahnbau wurde westlich des Bahnhofsgeländes eine Kiesgrube erschlossen. Wegen des hohen Grundwasserstandes entstand hier der sog. Eisenbahnweiher. Ab den 40er-Jahren wurde dieser Weiher nach und nach verfüllt. Bis ca. 1957 war die Verfüllung des Weihers abgeschlossen. Link Eisenbahnweiher

Eisenbahnweiher um 1910; Foto: Heimatmuseum Weißenhorn

Ab 1900 setzte im Umfeld des Bahnhofs eine gewerbliche Entwicklung ein. Das Sägewerk Molfenter an der Illerberger Straße erhielt als erstes Unternehmen um 1900 einen eigenen Gleisanschluss.

Westlich des Bahnhofs erbaute die Fa. Anton Laupheimer ab 1922 auf dem Grundstück Josef-Kögel-Str. 6 eine Skifabrik. Ab 1923 baute Heinrich Haas auf dem Nachbargrundstück Josef-Kögel-Str. 8 ein Sägewerk. Beide Betriebe erhielten ihr Holz über die Eisenbahn angeliefert. Nach dem Konkurs der Fa. Haas 1924 wurde der Betrieb durch den Nachbarn Laupheimer übernommen.

1914 eröffnete Julius Langenstein in der Maria-Theresia-Str. eine landwirtschaftliche Gerätefabrik, die auch die Nähe der Bahnanlage für die Anfuhr von Rohstoffen und den Abtransport der Fertigwaren nutzte.

1925 errichtete der Kaufmann Jakob Brändle auf Bahngrund an der Herzog-Georg-Str. einen Kohlenschuppen. 1947 und 1954 wurde dieser Kohlenschuppen erweitert. Die Kohlen wurden mit der Bahn angeliefert. Als in den 70er-Jahren vermehrt Heizöl als Brennmaterial verwendet wurde, stellte Brändle einen Heizöltank auf dem Grundstück auf. Auch das Öl kam mit der Eisenbahn.

1955 stellte die DB an der Einmündung der Herzog-Georg-Str. in die Ulmer Str. eine Wellblechgarage auf. Die Stadt beschwerte sich, dass hierdurch die Sichtverhältnisse beschränkt wurden. Die Garage stand aber noch mehrere Jahre, 1962 lehnte die DB noch den Abbruch ab, 1971 war sie abgebaut.

Luftbild 1957; Foto: Heimatmuseum Weißenhorn

1959 wurde die Gleiswaage erneuert. 1962 wurde nördlich an die alte Güterhalle eine neue Halle in Stahlbetonbauweise angebaut. 1970 wurde die alte Güterhalle abgebrochen und der moderne Anbau auf diese Fläche ausgedehnt. Hierbei wurden im EG des Empfangsgebäudes auch neue Fenster eingebaut.

1961 erbaute der Landproduktehändler B.C. Keller eine Lagerhalle mit Getreidesilos (Am Eisenbahnweiher 10). 1964 erhielt der Betrieb einen eigenen Gleisanschluss. Dieser war betriebstechnisch ungünstig nur über eine Sägefahrt zu erreichen, was entsprechenden Rangieraufwand erforderte.

Auf dem lange Zeit brach liegenden Grundstück der Fa. Groer richtete die Fa. Bentele um 1975 einen Stahlhandel ein und reaktivierte hierzu das äußere Hinterstellgleis, allerdings nur als Stichgleis. Die Bundeswehr erneuerte das innere Hinterstellgleis, während Gleis 7 verkürzt und in der Verbindung nach Süden stillgelegt wurde. Die Abzweigweiche Molfenter wurde ausgebaut. Die BayWA erhielt für ihr Lagergebäude Am Eisenbahnweiher einen eigenen Gleisanschluss, der als Hinterlieger auch die Fa. PERI bediente, die hier noch eine Weiche einbauen ließ. Dieser neue Gleisanschluss wurde noch vor der Einfahrtsweiche des Bahnhofs über eine flache Innenbogenweiche an die Strecke angebunden.

Mitte der 90er-Jahre erbaute die Westfalen AG ein Flüssiggaslager im Eschach, welches über eine neue Abzweigweiche an das Streckengleis angebunden wurde.

Eine betriebstechnische Besonderheit stellte bis zu Reaktivierung der Strecke der schienengleiche Bahnübergang am südlichen Bahnhofskopf dar, weil dieser nie technische gesichert war. Selbst zu den Zeiten starken Eisenbahnverkehrs bestand hier keine Bahnschranke, noch nicht einmal eine Sicherung über Blinklichter. Die Straße musste jedes Mal vor einer Zugüberfahrt durch Posten mit Flaggen gesichert werden. Solange der Bahnhof noch mit Personal besetzt war, musste dieses die Aufgabe übernehmen, später musste auf jedem Zug entsprechendes Personal mitfahren, die Lokomotive musste vor dem BÜ halten, das Personal musste absichern und nach Überquerung des BÜ musste der Zug wieder anhalten um das Personal wieder aufzunehmen.

Diese Sicherungstechnik änderte sich auch nicht, als 1989 der Bahnübergang ausgebaut und verlegt wurde. In den Jahren 1988/89 wurde die Herzog-Georg-Straße in zwei Bauabschnitten ausgebaut um den wachsenden Verkehr zu bewältigen und auch die Funktion einer Innenstadtumfahrung zu übernehmen. In diesem Zug wurde auch der Bahnübergang am südlichen Bahnhofskopf ausgebaut und verlegt. Vor der Verlegung querte die Straße in Verlängerung der Maria-Theresia-Str. und hatte noch eine Abkürzung nach Süden. So kamen gerade an der Bahnkreuzung 4 Straßen zusammen, so dass der Übergang unübersichtlich wurde. Mit steigendem Fahrzeugverkehr war das nicht mehr hinzunehmen. Zunächst wurde die Abkürzung nach Süden im Zuge der Asphaltierung geschlossen, bevor der gesamte Bahnübergang zusammengefasst und in die Straßenabknickung verlegt wurde. Prompt führte dies natürlich zu Protest bei den Nutzern der Maria-Theresia-Str.

Alter Bahnübergang in Fortsetzung der Maria-Theresia-Str., Foto: Heimatmuseum Weißenhorn

Die Verlegung des BÜ gestaltete sich gar nicht so leicht, weil die Straße genau im Bereich der Einfahrtsweichen lag und nicht über die Weichenzungen, Herzstücke oder Backenschienen führen durfte. Gelöst wurde das Problem, indem die Abzweigweiche zum Anschluss BayWa/PERI noch etwas weiter nach Süden verlegt wurde. Die Abstimmung mit der DB war sehr bürokratisch und zeitaufwändig.

1957 Foto: Heimatmuseum Weißenhorn
Neuer Bahnübergang; Foto: Heimatmuseum Weißenhorn

Nach der Verlegung des Bahnübergangs wurde die alte Straßenfläche verkauft und 1992 an dieser Stelle ein neues Wohn- und Geschäftsgebäude errichtet (Herzog-Georg-Str. 5)

  1. SRS 17/61-167 ↩︎

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